Plenum Regierungsbefragung Scholz

Rückblick auf die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse

Rohwer Reichstag Anika Nowak

Am 18. März, vor 35 Jahren fanden die ersten und einzigen freien Wahlen in der DDR statt. Und ich war das erste Mal in meinem Leben wählen. Das war für mich historisch.

Die gestrige Sondersitzung des Deutschen Bundestag erinnerte an diesen besonderen Tag. Und es ist ein schöner Zufall, dass wir den Paradigmenwechsel in unserer Verteidigungspolitik (die Ausnahme des
Verteidigungshaushalts von der Schuldenbremse), ebenfalls an diesem 18. März beschlossen haben. Ob es ähnlich historisch wird, dürfen andere dann in der Rückschau bewerten. Aber wir können uns bewusst sein, dass die Debatte und Entscheidung zu diesem starken Signal in die Welt, nicht nur von unseren Freunden und Partnern, sondern auch von den Gegnern und Feinden unserer politischen Ordnung im Detail beobachtet wurde. Heute und vor 35 Jahren senden wir ein klares Signal gen Osten. Wir sind ein souveränes Land und stehen zu unseren Werten!

Aber gehen wir ans Eingemachte. Die Entscheidung hat nicht nur mich nachdenklich gemacht. In meinem Büro habe ich unzählige Schreiben dazu erhalten. CDU-Mitglieder sprechen mich auf den unterschiedlichsten Kanälen direkt an und fragen: "Lars, was ist da los? Der Wahlkampf war doch ganz anders."

Warum so viele Schulden?

Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, auch intern viel diskutiert und abgewogen. Es ist öffentlich einsehbar, ich habe mich letztendlich für die Zustimmung zu dieser Grundgesetzänderung entschieden.

Gleich nach der Wahl waren die Herausforderungen sehr groß und die geopolitischen Ereignisse immens. Innerhalb von nur zwei Wochen gelang es, mit der SPD ein Sondierungspapier zu erarbeiten. Friedrich Merz reiste mit einer klaren Zielrichtung zum EU-Gipfel nach Brüssel: Europa muss verteidigungsfähig gemacht werden. Es fand weltweit Beachtung, dass Deutschland dabei eine klare Führungsrolle übernehmen wird.

Nach den intensiven Verhandlungen der letzten Tage haben wir gemeinsam mit SPD und Grünen ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Das zeigt auch das deutliche Ergebnis der heutigen Abstimmung im Deutschen Bundestag. Aus der demokratischen Mitte unseres Parlaments heraus haben wir eine gemeinsame Lösung für die Zukunft unseres Landes entwickelt. Dies erwartet die Bevölkerung - gerade in Krisenzeiten.

Ganz nüchtern auf die Zahlen geschaut, rückt es vielleicht manches ins Verhältnis:

  • Die 500 Mrd. EUR fallen in 12 Jahren an und sie werden sicherlich einen Einfluss auf unser Potenzialwachstum haben.
  • Wenn dieses bei 1% pro Jahr läge, würde das BIP um ca 800 Mrd. EUR zusätzlich wachsen. Bei einem aktuellen Schuldenstand von 64% des BIP würde der Schuldenstand durch das Sondervermögen nur um
    ca 2% ansteigen.
  • Wenn das zusätzliche Wachstum nur 0,5% pro Jahr betrüge, würde der Schuldenstand um 7% wachsen.
  • Im Falle eines zusätzlichen Wachstums von 1,3% hätte das Sondervermögen keinen Einfluss auf den Schuldenstand im Vergleich zur Situation ohne das Sondervermögen.

Also - egal welches Szenario jetzt das realistische ist - das Sondervermögen selbst wird mutmaßlich unseren Schuldenstand nicht in ungeahnte Höhen katapultieren.

Wichtig ist und bleibt aber, dass die begleitenden Reformen kommen, um das mit seiner Hilfe mögliche Potenzialwachstum zu maximieren und an den möglichen Stellen gleichzeitig auch weiterhin zu sparen. Da sehe ich uns ganz klar in der Pflicht.

Wir haben eine Richtungsentscheidung getroffen. Deutschland sendet eine klare Botschaft: Wir sind verteidigungsbereit. Es wird an keiner Stelle an den finanziellen Mitteln fehlen, um die Freiheit und den Frieden auf unserem Kontinent zu verteidigen. Deutschland wird seine Verantwortung als europäische Wirtschaftsmacht wahrnehmen und leistet seinen großen Beitrag zur Verteidigung des Friedens und der Freiheit in Europa und der Welt.

Mit dem Sondervermögen Infrastruktur schaffen wir überdies die Grundlagen für umfassende Verbesserungen der Infrastruktur und für die Erreichung der Klimaziele Deutschlands. Eine bessere Infrastruktur ist die Voraussetzung für eine neue wirtschaftliche Dynamik in unserem Land und nicht zuletzt für ein Land, das wieder funktioniert.

Was soll die Klimaneutralität im Grundgesetz?

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlage ist seit über 30 Jahren in Art 20a im Grundgesetz als ein Verfassungsauftrag festgeschrieben. Vor rund vier Jahren urteilte dazu das Bundesverfassungsgericht, dass darunter auch Klimaschutz und Klimaneutralität zu verstehen seien. Das Wort Klimaneutralität nun also im hinteren Teil des Grundgesetzes aufzunehmen, ist kein Skandal. Es ist eine logische Konsequenz und Bestandteil, wenn wir in der Zukunft weiterhin unsere Schöpfung bewahren wollen. An dieser Stelle hat die AfD bewusst Verunsicherung in die öffentliche Debatte gebracht. Es gibt keine grundlegende Veränderung bzw. Neuausrichtung unserer Verfassung!

Was verschiedene Staatsrechtler zu der Thematik sagen, findet ihr hier!

Torsten Frei

Darf der "alte Bundestag" überhaupt noch beschließen?

Die Legitimität der dafür notwendigen Sondersitzung des 20. Deutschen Bundestages wurde durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom Freitag und Montagabend bestätigt. Daran gibt es keinen Zweifel! Das hat unser Parlamentarischer Geschäftsführer in der vorangestellten Debatte zur Geschäftsordnung heute noch einmal deutlich gemacht und kann gern hier nachgehört werden.

Die Formulierungen der Grundgesetzänderung belassen dem Gesetzgeber großen Handlungsspielraum bei der konkreten Mittelverwendung. Wir haben gestern über neue Kreditermächtigungen beschlossen. Wie genau diese verwendet werden, darüber entscheidet selbstverständlich der neue, der 21. Deutsche Bundestag!

Wie geht's weiter? Immer weiter Schulden?

Das ist mir ganz wichtig. Ganz kurz und knapp: Fiskalische Disziplin wird in Deutschland auch weiterhin wichtig bleiben. Wir sind fest entschlossen, die europäischen Fiskalregeln einzuhalten. In den Koalitionsverhandlungen werden aktuell Maßnahmen zur Modernisierung des Staates und zur Entbürokratisierung ausgearbeitet.

Noch einmal zu den 500 Mrd. gesprungen: Mit Ausnahme der Verschuldensmöglichkeiten der Länder handelt es sich übrigens nur um Kreditermächtigungen, über deren Einsatz und Verwendung jeweils mit (einfacher) Mehrheit entschieden wird. Ja, die Versuchung zum Ausgeben ist immer groß. In den nächsten vier Jahren bestimmen aber wir, wieviel kreditfinanzierte Investitionen wofür und mit welchen Bedingungen getätigt werden.

Jetzt gilt es, die Koalitionsverhandlungen fortzuführen und erfolgreich abzuschließen. Es sind noch viele Details zu klären. Alle spüren die Verantwortung, die auf uns lastet. Ihr könnt euch vorstellen, dass wir uns alle diese Entscheidungen nicht einfach machen. Am Ende geht es darum, die richtigen Weichen für unser Land und unsere Region zu stellen.

Ich würde mich freuen, wenn wir dazu weiter im Austausch bleiben.

202308211601  Anc2019 Rohwer Kleiner